Verlorenes Erbe (OÖ): Flachsspinnerei Stadl-Paura

In der sehenswerten TV-Serie „Verlorenes Erbe“ (von Rupert Reiter-Kluger) im ORF 2-Vorabendprogramm (“Studio 2”) wurde am 16. Februar 2022 der Abriss der Lambacher Flachsspinnerei in der Stadtgemeinde Stadl-Paura behandelt. ORF-FERNSEHBEITRAG ZUM NACHSEHEN (5 min): https://tvthek.orf.at/profile/Studio-2/13890037/Studio-2/14124521/Die-Flachsspinnerei-in-Stadl-Paura/15105970.

1850 begann die Geschichte der Flachsspinnerei in Stadl bei Lambach. Da es zu dieser Zeit viele Orte mit dem Namen Stadl gab, wurde sie als “Lambacher Flachsspinnerei” bezeichnet (später: Lambacher HITIAG Leinen AG). Sie war die erste Aktiengesellschaft in Oberösterreich und die Fabriksanlage in der Fabrikstraße 3 wurde 1852-53 erbaut.  In einem Gutachten des bekannten Univ.-Prof. und Denkmalpflegers Manfred Wehdorn, Experte für Industriearchitektur (Industriearchäologie)  heißt es: Der Fabriksbau der Lambacher ist ein frühes Beispiel eines romantisierenden Industriebaues, welcher in seinen zum Teil gotischen Detailornamenten augenscheinlich englische Vorbilder zitiert (…) Die Architektur besitzt geradezu großstädtisches Gepräge.” Leider wurde die Bedeutung dieser einzigartigen Fabriksanlage nie erkannt und gewürdigt, auch gingen die frühen Baupläne und Korrespondenzen zwischen 1960 und 1990 verloren bzw. wurden vernichtet. 2005 wurde die Fabrik endgültig geschlossen und das Areal an Privat verkauft. Der langsame Verfall setzte ein. Leider zeigte offenbar auch das Bundesdenkmalamt kein Interesse am Objekt. Zeitzeuge Bruno Sterner erzählt im ORF-Interview, dass sein Onkel und sein Vater dort gearbeitet hatten. In den Anfängen und noch sehr lange war die Kinderarbeit sehr hart, sie mussten bis zu 73 Stunden in der Woche arbeiten. Die Stadlinger Flachsspinnerei wurde für einige Zeit der größte Leinenproduzent in Europa. Die Fabrik war auch sozial fortschrittlich; es gab 30 Jahre vor der staatlichen Krankenkasse eine Versorgung für Kranke und Kinder. Es gab einen eigenen Arbeiterkonsum. Das soziale Leben, Kino, Bäder, Kegel, Sportverein, Fußballklub, Schießen, Turnen. Stolz war man auf die Lambacher Flachsspinnerei immer, einmal gelang sogar ein Welterfolg. Die Halteseile der Bremsfallschirme der Astronauten-Kapsel des ersten bemannten Mondfluges wurden von der Lambacher Flachsspinnerei erzeugt. 2005 war dann aber endgültig Schluss, da wurde die Produktion in den Osten verlegt. Bruno Sterner hat noch versucht die Fabriksanlage vor dem Abriss zu retten, die Gemeinderäte zu interessieren, Teile der Fabrik zu erhalten, man hat auch noch mit dem Eigentümer gesprochen und es wäre möglich gewesen, aber schlussendlich vergeblich, denn leider ist dann eine politische Fraktion trotz Zusage umgefallen, berichtet er. So musste schließlich auch das schönste Stück der Fabrik im Frühjahr 2015, der Haupttrakt weichen. Die Bewohner der zukünftigen Wohnsiedlung mit 600 Wohnungen können noch den alten Zaun bewundern, der als einziger Teil des Areals erhalten geblieben ist.

ORF-FERNSEHBEITRAG ZUM NACHSEHEN (5 min): https://tvthek.orf.at/profile/Studio-2/13890037/Studio-2/14124521/Die-Flachsspinnerei-in-Stadl-Paura/15105970 (ORF, Studio 2, ‘Die Flachsspinnerei in Stadl Paura’, 16.2.2022).

Literatur / Linktipps / Quellen:

Bruno Sterner, Die Lambacher-Flachsspinnerei in Stadl-Paura – Das Ende nach 165 Jahren Industriegeschichte, in “Denkma[i]l” Nr. 15/2015, Nachrichten der Initiative Denkmalschutz, Seite 18 f.: https://www.initiative-denkmalschutz.at/denkmail/Denkmail_Nr_19_web.pdf

Bernhard Huss (Fotograf), Flachsspinnerei Stadl-Paura: Die letzten Aufnahmen vor dem Abriss (25.1.2015): http://huss-photography.at/flachsspinnerei

Bernhard Huss (Fotograf), Sprengung Fabrikschlot Flachsspinnerei Stadl-Paura (17.8.2015): http://huss-photography.at/sprengung-fabrikschlot-flaschsspinnerei-stadl-paura

Wolfgang Burghart, Die Lambacher Flachsspinnerei Stadl-Paura. Keine Chance für alte Industrie, in: “Österreichs gefährdetes Kulturerbe” (Hrsg. Initiative Denkmalschutz), Wien 2018, Seite 180 f.

Die Flachsspinnerei auf “Kulturnetz Wels Land” (inkl. Gastkommentar von Bruno Sterner, “Das Ende nach 155 Jahren – Geschichte und Niedergang einer Pionierleistung”, in: “Lebensraum Stadl-Paura”): https://www.kultur-netz.at/kulturgueter/stadl-paura/eingang-flachsspinnerei.html

Sehenswerte Ausstellung über Anfang und Ende der Flachsspinnerei Lambach (Oberösterreichische Nachrichten, 22. Oktober 2018): https://www.nachrichten.at/oberoesterreich/wels/Sehenswerte-Ausstellung-ueber-Anfang-und-Ende-der-Flachsspinnerei-Lambach;art67,3040016

Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Band I: “Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg”, Salzburg und Wien 1980, Seite 100