Megakahn im Weinlaubmeer, Wiener Zeitung 186

Wiener Zeitung 186 vom 2009-09-25, Seite 21 / KUL Kultur Überdimensionierte Neubauten belasten in Dürnstein das Weltkulturerbe Wachau – Weitere Projekte geplant

Ein Megakahn im Weinlaubmeer

Dürnsteins bekannteste Ansicht strebt steil in die Höhe: vom Donauufer über das Schloss, das Stift mit dem blauen Turm und mittelalterlichen Bürgerhäusern hinauf zur Ruine der Kuenringer Burg. Dürnsteins Attraktion liegt auch in der Breite, im Stadtteil Loiben, der größten Flussebene der Wachau an einem Donaubogen, mit einem schier grenzenlosen Weingarten und mit uralten Steinterrassen im Sonnenhang als Krönung.

Fast unsichtbar zieht die alte Landstraße von Dürnstein nach Stein – heute der Donauradweg – ihre Linie durch die Rebenspaliere. Der Thronfolger Franz Ferdinand ließ vor 100 Jahren, als Protektor der Denkmalpflege, die Wachaubahn mit größter Rücksicht auf die Weinkulturen trassieren. Einzig das “Franzosendenkmal” erhebt sich am Höhereckberg aus der Grünzone. Hier, in der Loibener Ebene, gewann ein russischer General 1805 für Kaiser Franz eine Schlacht.

Im Kampf gegen ein geplantes Donaukraftwerk gründeten Bürgermeister und Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft 1971 den “Arbeitskreis Wachau”. 2001 wurde die Wachau in die Weltkulturerbe-Liste der Unesco aufgenommen: Pflege und Schutz schienen gesichert. Doch während die emsige Restaurierung alter Gebäude (wie des Dürnsteiner “Kellerschlössls”) nie zu einem Ende kommt, schiebt sich manch grober Neubau ins Bild.

So in Weißenkirchen die Einfahrtsrampe einer neuen Tiefgarage beim Rathaus. Am westlichen Ortseingang baut der Geschäftsführer der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft ein Villen-Agglomerat aus fünf Kuben mit Flachdächern. Begrenzungs bänder aus nacktem Beton begleiten ab sofort die Wachaustraße, wo für den neuen “mobilen Hochwasserschutz” die Ufer aufgegraben werden mussten.

Loibens Spitzenwinzer F. X. Pichler verminderte seine beachtliche Anbaufläche um eine Kellerei neuen Typs, mit Produktionstanks in der Halle, Degustation und Verkauf. Er hätte seinen Neubau auch unaufdringlich an den Rand seiner Weinlatifundie rücken können. Die Wachau-Schützer aus der Unesco-Mannschaft konnten die ärgsten Auswüchse wegverhandeln, etwa das blendend helle “gebürstete Aluminium” von den Außenwänden. Der Kremser Architekt Thomas Tauber griff zuletzt, nicht ungeschickt, zu rauem Beton, anthrazit eingefärbt. Doch mit seiner Länge (45 Meter) und Höhe (über 7 Meter) ragt das Gebäude plump wie ein Megakahn aus dem Weinlaubmeer. Beachtliche Kulturflächen werden Zufahrtsstraßen und Parkplätzen geopfert.

Weitere Bauwerber sind im Anflug auf den einzigartigen Loibener Weingarten. Am Westrand, am Prälatenweg, plant die 1939 gegründete Donau-Ennsthaler-Siedlungs-AG Wohnhäuser. Beim Franzosendenkmal warfen die Feuerwehr und andere Katastrophen-Einsatzkräfte ihr Auge auf ausgedehnte Rebenflächen.

Die Barrieren bröckeln

Am Ostrand der rund 800 Meter breiten Weinebene stehen, auf einer leichten Anhöhe, Hallen und Keller der vor drei Jahren eingegangenen Winzergenossenschaft “Dinstlgut” leer. Dort fänden die Kameraden im feuerfesten Rock einen die Landschaft schonenden Bauplatz. Vorerst machte dort die niederländisch-deutsche European Investment Group (EIG) mit Sitz in London den Stadtoberen von Dürnstein ein Luxushotelprojekt schmackhaft. Doch seit vor zwei Monaten die EIG-Zweigniederlassung in Wien Konkurs anmeldete, ist der Appetit vergangen.

Die Welterbe-Region Wachau verlor im Februar 2008 ihren tatkräftigen, geschmackssicheren Motor: Der Bürgermeister von Spitz, Hannes Hirtzberger, fiel einem Giftattentat zum Opfer. Das Motiv des zu lebenslanger Haft verurteilten Täters war Rache. Weil der Bürgermeister das Ortsbild seiner Stadt gegen ein zerstörerisches Einzelinteresse verteidigt hat.

Eine Pflicht und eine Last für alle Bürgermeister! Als erste Instanz entscheiden sie in Bausachen, nicht wenige sind fachlich völlig überfordert. Wird Hirtzbergers Schicksal (er liegt im Wachkoma) als ein Märtyrer bewahrender Beharrlichkeit seine Kollegen und Nachfolger nicht nur zu Beileidsbezeugungen ermutigen, sondern auch im künftigen Widerstand gegen maßlose Immobilienspekulanten, Architekten, Bauherrn bestärken? Die Barrieren, die Hirtzberger seit 1991 als Leiter des “Arbeitskreises Wachau” aufgebaut hat, scheinen in Dürnstein und Weißenkirchen zu bröckeln.

Bild: Kellerei (Bildmitte) als Fremdkörper in der Ebene von Dürnstein-Loiben. Hans Haider
Quelle: Wiener Zeitung 186 vom 2009-09-25, Seite 21
Ressort: KUL Kultur
Dokumentnummer: 087090095200909250110090097