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Welterbe Wien (u. Heumarkt): Managementplan mit 15 Jahren Verspätung?

Am Donnerstag, 6. Mai 2021 lud Planungsstadträtin Ulli Sima gemäß § 58 Wiener Stadtverfassung zu einer Enquete mit dem Titel “„Managementplan Welterbe Historisches Zentrum von Wien“. Unter dem Vorsitz von Gemeinderat Omar Al-Rawi und im Beisein der beiden Stadträtinnen Kathrin Gaál und Veronika Kaup-Hasler sowie von Landtagspräsident Ernst Woller (alle SPÖ), diskutierten im Wiener Rathaus VertreterInnen aus Politik, Fachwelt, Zivilgesellschaft und Verwaltung den vorliegenden Management-Entwurf des mit seinen mehr oder weniger konkreten Vorschlägen. Der Managementplan benennt Schutzziele und Empfehlungen und definiert, wie und mit welchen Instrumenten die Erhaltung der Welterbestätte in Zukunft gemanagt werden soll. In zwei Reflexionsrunden im Wiener Rathaus wurde der in den letzten 1 1/2 Jahren ausgearbeitete Entwurf erörtert und entsprechende Fragen an die Autoren, vertreten durch Planungsdirektor Thomas Madreiter und MA21A-Abteilungsleiter Bernhard Steger, formuliert.  ORF-FERNSEHBEITRAG: https://tvthek.orf.at/profile/Wien-heute/70018/Wien-heute/14091348/Plan-soll-Wiens-Welterbestatus-retten/14913397 (6.5.2021, ORF ‘Wien Heute’, “Plan soll Wiens Welterbestatus retten”).

Die Teilnehmer an der Enquete

An den Reflexionsrunden teilgenommen haben u.a. die Gemeinderät*innen Anton Mahdalik (FPÖ), Heidemarie Sequenz (GRÜNE), Elisabeth Olischar (ÖVP), Selma Arapovic (NEOS) und Ernst Woller (SPÖ), Markus Figl (Bezirksvorsteher 1. Bezirk), Rudolf Zabrana (Vertreter des 3. Bezirks), Ruth Pröckl (Bundesministerium für Kultur, BMKÖS) und Ernst-Peter Brezovszky (Leiter des UNESCO-Referat im Außenministerium, BMEIA) als Vertreter*in der State Party, Renate Bornberg (ICOMOS Austria), Sabine Haag (Präsidentin der Österreichischen UNESCO-Kommission), Brigitta Ringbeck (Koordinierungsstelle Welterbe, Auswärtiges Amt Berlin), Martin Fritz (Kurator, Berater, Publizist), Rüdiger Lainer (Architekt), Anita Mayer-Hirzberger (Professorin am Institut für Musikwissenschaft, mdw), Maria Auböck (Architektin), Michael Kloos (Architekt, planning and heritage consulting), Andreas Vass (Architekt und Vorsitzender der ÖGFA), Elke Delugan-Meissl (Architektin und Vorsitzende des Fachbeirats), Christoph Stadlhuber (CEO SIGNA Prime Selection AG), Christa Reicher (Leiterin Lehrstuhl für Städtebau und Entwerfen, Aachen), Hannes Swoboda (Präsident des Architekturzentrums Wien), Christoph Bazil (Präsident des Bundesdenkmalamtes) und weitere Expert*innen. (Stand: 29.4.)

Wien beim Managementplan seit vielen Jahren säumig!

2001 wurde dem “Historischen Zentrum von Wien” das UNESCO-Weltkulturerbe-Prädikat verliehen. 2005 trat die neue Fassung der “Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt” in Kraft, seitdem sind eigene Managementpläne für Welterbestätten zwingend erforderlich. Die Stadt Wien machte sich damals gleich an die Arbeit und präsentierte ein Jahr später – im Dezember 2006 – die Publikation “Wien, Weltkulturerbe – Der Stand der Dinge”, der als “Bericht und integrierender Bestandteil des erforderlichen Managementplanes zu verstehen war, wie es in einer offiziellen Presseaussendung der Stadt Wien damals hieß. Darin findet sich auf Seite 95 folgende wichtige Schutzvorgabe: Alle Welterbeareale in Wien sind Ausschlusszonen für Hochhäuser. Doch dieser Managementplan-Entwurf mit diesem vorliegenden “integrierenden Bestandteil” trat dem Vernehmen nach nie offiziell in Kraft. Unser Verein Initiative Denkmalschutz hatte bereits 2013 den Widerspruch zwischen Heumarkt-Projekt und diesem Management-Plan Entwurf aufgezeigt (OTS 20.3.2013: Wiener Eislaufverein: Initiative Denkmalschutz deckt auf: Stadt Wien verstößt gegen ihre eigene Welterberichtlinie!)

Der Managementplan und seine Bedeutung für zukünftige Hochhäuser

So wurde jetzt, am 6. Mai 2021 im Wiener Rathaus im Rahmen der Enquete zum Managementplan ein neuer Entwurf der Öffentlichkeit präsentiert. Im 90-Seiten starken Entwurf des Managementsplans für das UNESCO-Weltkulturerbe “Historisches Zentrum von Wien” (Version vom 21. April 2021, dieser liegt der Initiative Denkmalschutz vor) wird unter Punkt “4.1. Handlungsfeld Erhalten und Bauen” auf Seite 59 betreffend “Historische Bausubstanz und charakteristische Stadtmorphologie” ein kurz- bis mittelfristige Handlungsempfehlung (1 bis 5 Jahre) ausgesprochen, die eine “Klarstellung betreffend die Entwicklung von Hochhäusern” empfiehlt. Im Kapitel “Konsolidierung von Höhenentwicklung und welterberelevanten Blickzielen” (Seite 87 f.) heißt es: “Wien wächst – unter Berücksichtigung stadtstruktureller Bezüge auch in die Höhe. Dafür gibt Wien mit dem Fachkonzept Hochhäuser einen strukturierten und den vielfältigen Anforderungsansprüchen einer modernen Stadt entsprechenden Entscheidungsprozess vor. (…) Die Stadt als lebendigen Organismus begreifend, folgt das Fachkonzept Hochhäuser der Logik von Überprüfungs- anstatt Ausschlusszonen. Aufgrund des Stufenbaus der Rechtsordnung sowie vielfältiger ineinandergreifender Instrumente sind jedoch in der Kerzone neue Hochhäuser (über die bestehenden hinaus) faktisch ausgeschlossen.” Man beachte jedoch den Begriff “neue Hochhäuser”, gilt das auch für bereits bestehende Hochhausstandorte wie am Heumarkt? Erfreulich zumindest, dass der Welterbe-Begriff in die Bauordnung verankert werden soll.

Politische Reaktionen der Opposition

Eine „Ausschlusszone für Hochhäuser im historischen Zentrum Wien“ sowie eine „Welterbe-Koordinierungsstelle“ forderte Planungssprecherin der ÖVP, Elisabeth Olischar (vgl. Presseaussendung). Grundsätzlich mangle es dem Managementplan an „ausreichender Verbindlichkeit“, was mit „ausgeprägter Beliebigkeit“ einhergehe, so Olischar. „Bisher hat die Wiener SPÖ nach dem Motto agiert: Was nicht passt, wird passend gemacht.“ Der Wiener Heumarkt sei exemplarisch dafür. Durch die Verankerung der Welterbezonen in der Wiener Bauordnung erwartet sie sich in Zukunft jedenfalls rechtliche Verbindlichkeit“. Die FPÖ fragt in einer Presseaussendung: “Hochhäuser künftig im historischen Zentrum Wiens möglich?” und kritisiert – wie die ÖVP: Die Opposition war in die Erstellung des Entwurfs wie üblich nicht einmal im Ansatz eingebunden und hat diesen erst im Vorfeld der gestrigen Enquete zur Verfügung gestellt bekommen“.

Zivilgesellschaft kaum eingebunden

Von der Einbindung der Zivilgesellschaft kann auch kaum gesprochen werden. Von den prononcierten Hochhaus-Kritikern für diesen Standort am Heumarkt war nur Andreas Vass beteiligt. Und auch die “breite Öffentlichkeit” war nur bedingt eingebunden, konnte man die dreistündige Enquete nur via Livestream verfolgen. Und dieser fand zu einer für die Mehrheit der berufstätigen Menschen zu einer unmöglichen Zeit statt, nämlich von 9 Uhr bis 12:30 Uhr. Von einem späteren Online-Stellen des Live-Streams, damit auch die Interessierten zu einem späteren Zeitpunkt die Diskussions verfolgen können, ist nichts bekannt.

Was bedeutet das für den Heumarkt?

Der Hotelneubau beim Eislaufverein könnte – so wie bisher – etwa 43 Meter hoch werden (gemäß Bauordnung für Wien entspricht dies etwa 38 Meter ohne technischer Aufbauten), entsprechend der Welterbe-Auflage “nicht höher als Bestand”. Eine Einigung mit der UNESCO wäre dann leicht möglich. Ernst Woller (SPÖ) , Landtagspräsident und Welterbe-Beauftragter der Stadt, möchte noch heuer die Lösung präsentieren, damit Wien nächstes Jahr von der Roten Liste der gefährdeten Welterbestätten gestrichen werden kann. Zur Vorgeschichte: Obwohl die UNESCO seit 2013 der Stadt Wien unmissverständlich klar gemacht hat, dass am Heumarkt-Areal “nicht höher als Bestand” gebaut werden darf, ignorierte die Stadt Wien 2017 diese Vorgabe und beschloss den bis heute gültigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes, der eine höhere Bebauung erlaubt. Konsequenter Weise setzte daraufhin die UNESCO das Welterbe “Historisches Zentrum von Wien” auf die Rote Liste der gefährdeten Welterbestätten.

Managementplan Welterbe Historisches Zentrum Wien (Stadt Wien): https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/strategien/managementplan-welterbe.html

Managementpläne für Welterbestätten. Ein Leitfaden für die Praxis. Brigitte Ringbeck, Deutsche UNESCO-Kommission, Bonn 2008 (116 Seiten): https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-06/Managementplaene_Welterbestaetten.pdf

Aktuelle Medienberichte:

6. Mai 2021, Kurier
Welterbe-Enquete im Wiener Rathaus: Der Versuch einer Debatte. Am Donnerstag wurde der Managementplan für das historische Stadtzentrum Wiens, seines Zeichens Welterbe-Stätte, präsentiert: https://kurier.at/amp/chronik/wien/welterbe-enquete-im-wiener-rathaus-der-versuch-einer-debatte/401374376

6. Mai 2021, Kurier
Managementplan: 91 Seiten zur Welterbe-Rettung mit 16 Jahren Verspätung. Der von der UNESCO geforderte Managementplan ist da. Kritik daran kommt von der ÖVP: https://kurier.at/amp/chronik/wien/managementplan-91-seiten-zur-welterbe-rettung-mit-16-jahren-verspaetung/401373215

6. Mai 2021, Wiener Zeitung
Weltkulturerbe: Lehren des Heumarkts. Der von der Unesco geforderte Managementplan zum Umgang mit dem Welterbe wurde präsentiert. Welterbezonen kommen in die Bauordnung: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/wien-politik/2103295-Lehren-des-Heumarkts.html

6. Mai 2021, ORF
Plan soll Wiens Welterbestatus schützen. Bei einer Enquete im Wiener Rathaus ist heute ein „Managementplan“ präsentiert worden, mit dem die Stadt künftig eine Gefährdung des UNESCO-Welterbestatus vermeiden will. Beim umstrittenen Heumarkt-Projekt soll die Bauhöhe erneut reduziert werden: https://wien.orf.at/stories/3102669

6. Mai 2021, Die Presse
Ein neuer Plan für das Wiener Weltkulturerbe. Die Gefährdung des Weltkulturerbes sorgt laufend für Diskussionen. Ab Oktober soll das historische Erbe besser geschützt und die Unesco beruhigt werden (Bezahlschranke): https://www.diepresse.com/5976386/ein-neuer-plan-fur-das-wiener-weltkulturerbe

5. Mai 2021, Wiener Zeitung
Ein Managementplan für das Welterbe. Der umstrittene Heumarkt-Turm dürfte Geschichte sein. Nun will die Stadt Wien einen Plan präsentieren, wie sie in Zukunft mit ihrem Welterbe umgehen wird. Von der ÖVP kommt bereits im Vorfeld Kritik: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/wien-politik/2103095-Ein-Managementplan-fuer-das-Welterbe.html

Politische Reaktionen (APA-OTS):

7. Mai 2021, FPÖ
FP-Mahdalik: Neuer „Managementplan Welterbe Wien“ Mogelpackung für Benko, Tojner, Haselsteiner & Co.? Hochhäuser künftig im historischen Zentrum Wiens möglich? https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210507_OTS0149

6. Mai 2021, ÖVP
VP-Olischar: Managementplan zum Welterbe braucht mehr Verbindlichkeit statt Beliebigkeit. Neue Volkspartei Wien fordert Ausschlusszone für Hochhäuser im historischen Zentrum Wien – Welterbe-Koordinierungsstelle soll eingerichtet werden: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210506_OTS0128

6. Mai, 2021, FPÖ
FP-Mahdalik: “Managementplan Welterbe Wien” gut, Taten wären besser. Heumarkt und Otto-Wagner-Spital als Nagelproben für die SPÖ: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210506_OTS0076

6. Mai 2021, NEOS
NEOS Wien: Verantwortung für lebendiges Welterbe bewusst leben. UNESCO-Enquete als Wegweiser für die Zukunft: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210506_OTS0067

Presseaussendungen der Initiative Denkmalschutz (Auswahl)

9. Jänner 2020, APA-OTS-Presseaussendung
Initiative Denkmalschutz zu Heumarkt-Gefeilsche ums Weltkulturerbe: Ein unmoralisches Angebot der Stadt Wien an die UNESCO!
Neuer Vizekanzler und Kulturminister Werner Kogler ist jetzt verpflichtet Recht im Sinne des Regierungsprogrammes umzusetzen: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200109_OTS0013

7. Mai 2019, APA-OTS-Pressseaussendung
Aviso PK Heumarkt: Kulturminister Blümel und Bundesregierung müssen(!) rechtliche Schritte zur Erhaltung des Welterbes einleiten!
Präsentation der neuen, vertiefenden Rechtsanalyse von Dr. Helmut Hofmann durch Initiative Denkmalschutz, Initiative Stadtbildschutz und Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190507_OTS0017

26. März 2018, APA-OTS-Presseaussendung
UNESCO-Welterbe Wien: Ohne Reduktion des Heumarkt-Hochhausprojekts zielsicher zur Aberkennung. Initiative Denkmalschutz zeigt die Fakten
Die ÖVP-FPÖ Bundesregierung muss den Flächenwidmungsplan beeinspruchen und den Turm reduzieren. Aktuelle Aussagen des Kulturministers Blümel lassen jedoch anderes befürchten: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20180326_OTS0021
Die Fakten: https://www.initiative-denkmalschutz.at/images/2020/02/UNESCO-Beschluesse-Heumarkt_2012-17_Initiative-Denkmalschutz.pdf

Älterer iD-Bericht:

19. April 2021, Heumarkt (Wien) Hochhausprojekt: Auch Plan ‘B’ zu hoch – neuerliche Umplanung nötig
https://www.initiative-denkmalschutz.at/berichte/heumarkt-wien-hochhausprojekt-auch-plan-b-zu-hoch-neuerliche-umplanung-noetig